Im Alter von 80 Jahren ist am 10. März 2022 der Berliner Pressefotograf Paul Glaser nach längerer schwerer Krankheit verstorben.
„Trauer um Paul Glaser“ weiterlesenSchlagwort: Paul Glaser
Kurzer Lebenslauf
1941
geboren in Wolhynien, heute Ukraine, als Sohn eines deutschen Bauern. Die Familie hat dort mit anderen Kolonisten über 100 Jahre gelebt. Flucht vor der Roten Armee.
1946
eingeschult in Sachsen-Anhalt, sowjetische Besatzungs-Zone.
1950
Flucht in die Bundesrepublik.
1959
Abitur in Unna, Westfalen. Philosophie-Studium in München und Berlin, abgebrochen 1967 während der APO-Zeit.
1976
Kauf einer Kamera und Arbeit als freiberuflicher Presse-Fotograf. Keine Lehre, keine Ausbildung, reiner Autodidakt. Ich habe seither immer als Freiberufler gearbeitet, nie angestellt bei einer Zeitung und immer in Berlin.
Themen: Alles, was mit Politik zu tun hat. Kein Sport, keine Schauspieler, ausser sie haben für etwas kandidiert. Politik auch als Gesellschafts-Politik: Massensport, Erziehung, Städtebau, Jugend-Kultur und Freizeit-Gesellschaft, etwa Love Parade, Karneval der Kulturen.
Und natürlich Parteipolitik: Ich habe Wahlkämpfe fotografiert für Richard von Weizsäcker und Jochen Vogel. Und natürlich die Parteien, die auch gut waren für den Umsatz. Es gab öfter mal Untersuchungs-Ausschüsse und Skandale, Politiker gingen in den Knast oder noch schlimmer: sie verloren ihr Parteiamt. Ich habe eben das pralle Leben fotografiert.
1980-er Jahre
Ziemlich ausführlich Bilder gemacht zu Berliner Problemen: Stadt-Sanierung und Spekulation, Hausbesetzer und Friedens-Demos, Krawalle und neue Parteien.
Sehr ausführlich habe ich auch das Thema Ausländer bearbeitet: So etwa 30 000 Bilder von Türken in Berlin: in Moscheen und Familien, bei Hochzeiten und Demos, bei der Arbeit und beim Grillen.
DDR: heimlich und als Reisekorrespondent, 1989 akkreditiert für die Süddeutsche Zeitung, weil die DDR auf eine Zeitung bestand.
Wende-Zeit
Zwischen 1989 und 1993 habe ich an die 200 000 Bilder in der DDR gemacht. Wann hat ein Pressfotograf in seinem kurzen Leben schon die Gelegenheit, den Untergang eines Gesellschafts-Systems und den Aufbau eines neuen zu fotografieren?! Ich habe mir ein Auto gekauft, in dem ich schlafen konnte und alles fotografiert, was vor die Kamera kam: Abriss der Fabriken, Streiks in den Urangruben, verfallene Städte, Neuaufbau der Parteien, neue Landtage, neue Betriebe, neue Personen.
Etwa 2000 Bilder aus dieser Zeit habe ich in meiner Online-Datenbank.
1990-er Jahre
Berlin wird Hauptstadt, im Zentrum entsteht es ganz neu. Mehr als eine Billion Mark werden in der Innenstadt verbaut.
Das bringt genug Themen für einen Fotografen: Spekulation und Betrug, Pleiten und gute Architektur, neuer Bundestag, Kanzleramt, Lobby-Paläste. Regierungskrisen und der Austausch der halben Berliner Bevölkerung. Aus dem Gammelviertel Kreuzberg wird in Teilen Schicki-Micki, die alten Machtzentren von Bismarck bis Hitler werden an die Demokratie angepasst, eine spannende Entwicklung.
Zum Archiv:
Ich habe jetzt so etwa 1 Mio. Negative im Archiv und 450 000 digitale Bilder.
Die Archiv-Bestände werden nach und nach gescannt und auf Themen-CDs zusammengefasst, die an unsere Kunden, meist Zeitungen und Schulbuchverlage, geschickt werden. Eine Auswahl davon wird in die Online-Datenbank gestellt, auf die so etwa 100 Kunden Zugriff haben.
Adresse: http://www.paul-glaser.de
Ein wachsamer Chronist unserer Stadt: Paul Glasers Blick auf Berlin
Paul Glaser ist eine Berliner Institution. Seit vier Jahrzehnten begleitet seine Kamera das Leben in der Stadt zwischen Weltpolitik und Kiezproblemen und schießt lokale Berliner Fotos. „Aber die Weltprobleme kamen zu mir in die Stadt. Ich brauchte sie nur zu fotografieren“, sagt Glaser. Früher als Andere hat er Berlin als Einwanderungsstadt begriffen, und so dokumentieren seine Fotografien in einzigartiger Weise die Veränderungen im Berliner Straßenbild nicht nur in städtebaulicher, sondern auch in kultureller Hinsicht. Das beginnt in Schwarzweiß im eingemauerten West-Berlin und führt hin zu der offenen und bunten Metropole, die die wiedervereinigte Hauptstadt heute ist. Die Fotos wurden von Texten in Glasers eigenen Worten begleitet – direkt, ehrlich und gern politisch inkorrekt.
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